Reisingerkrippe
Die Jahreskrippe der Marianischen Männerkongregation Straubing in der Jesuitenkirche
Bis 1773 gab es ein Jesuitenkolleg in Straubing und seit 1638 wurde in der Jesuitenkirche eine Krippe (verschiedene Vorstellungen, zum liturgischen Jahr und zum Evangelium passend) aufgestellt; auch in der nachjesuitischen Zeit, als ehemalige Patres der Jesuiten die Männerkongregation als Präsides führten, wurde diese Tradition gepflegt bis zum allgemeinen Verbot im Jahre 1803. Damit ging in Straubing zunächst eine große Krippentradition zu Ende.
Der Sitz der Männerkongregation wechselte zur damaligen Zeit von der Jesuitenkirche, die zeitweilig als Lazarett, als Magazin und erst 1824 wieder als Kirche, als Studienkirche der Lehrerbildungsanstalt genutzt worden war, in die Karmelitenkirche. Und der ehemalige Karmelit, P. Joseph Heinrich Schmid, Kurat der Kirche in Sossau, wurde neuer Präses der Kongregation, die er bis 1830 eifrig und im alten Geist weiterführte. Mit diesem Orts- und Ordenswechsel der Kongregation kamen auch die Krippenfiguren der Jesuiten zu den Karmeliten. Teile dieser Krippe wurden bis zu den Jahren 1998 bzw. 2000 restauriert und in feierlicher Form der Öffentlichkeit vorgestellt.
Reisinger Krippe 2011 © F. Fischer
Eine Kehrtwende vollzog Johann Baptist Reisinger (Präses von 1830 bis 1882). Als er 1830 sein Amt als Präses der Marianischen Männerkongregation antrat, fand er keine kongregationseigene Wohnung vor. Auf einem Teilgrundstück des säkularisierten Kapuzinerklosters entstand 1834 eine Präseswohnung. Mit eigenen Mitteln machte er die Jesuitenkirche wieder gebrauchsfertig. So waren die Voraussetzungen geschaffen, die Kongregation von der Karmelitenkirche wieder in die alte Kongregationskirche zurückzuholen. Auch ein Teil der Krippe übersiedelte in die Jesuitenkirche, irgendwann nach 1830. Es gibt zwei Möglichkeiten des damaligen Vorgehens. Die erste setzt voraus, dass in der Endzeit vor dem Krippenverbot neben den unmodern gewordenen Großfiguren neuere, kleinere verwendet wurden, die dann zusammen mit den großen ins Karmelitenkloster gebracht wurden. Ein größerer Teil der neueren wäre dann von Reisinger wieder geholt worden, die Großfiguren verblieben bei den Karmeliten.
Die zweite Möglichkeit: Die Jesuiten hatten nur die Großfiguren bis zur Auflösung 1773. Die Kongregation benützte sie weiter bis 1814. Dann wanderten sie mit der Kongregation ins Karmelitenkloster und bildeten mit dort vorhandenen kleinen Figuren (etwa 60 Stück) ein Krippenfigurendepot, das bis 1825 verwahrt und nicht wie andern Orts veräußert wurde. Aus diesem Depot holte sich Reisinger seinen Anfangsbestand, den sog. Altbestand von 35 Figuren. Sowohl in der Karmeliten- als auch in der Jesuitenkirche wurde der geteilte Bestand, de sicher vor 1830 zurückreichen muss, allmählich erweitert. DieGroßfiguren verblieben als Ausgleich beim Karmelitenkloster. Diese zweite Möglichkeit erscheint plausibler.
Nach Überwindung vielfältiger Anfangsschwierigkeiten hatte Präses Reisinger als große Aufgabe die 200-Jahr-Feier der Kongregation 1846 zu organisieren. Danach widmete er sich neben der Fülle seiner sonstigen Verpflichtungen dem Aufbau der Kongregationskrippe, die nach dem Verlust der Jakobskrippe (durch Brand 1780 vernichtet) die bedeutendste und populärste Straubings werden und – bewusst oder unbewusst – die jesuitische Krippentradition fortsetzten sollte.
Seiner überaus genauen Buchführung ist es zu verdanken, dass wir im Archiv der Kongregation eine fast lückenlose Quellensammlung der Entstehung einer Jahreskrippe aus alten und neuen Teilen besitzen.“ (Aus Franz Karl „Krippen in der Jesuitenkirche zu Straubing“ Straubinger Hefte Nr. 47, Seite 19)
Mit dem von Präses Reisinger angeschafften Bestand konnte man mindestens 13 Szenen aus dem Alten und mindestens 32 Szenen aus dem Neuen Testament darstellen.
„Reisingers Nachfolger im Amt (als Präses) werden eher als literarisch interessierte Gelehrte oder Wissenschaftler beschrieben. Es kam der Erste Weltkrieg, es kam die Inflation, eine weniger gute Zeit für Krippen. Die außerhalb der Weihnachtszeit möglichen Szenen der Jahreskrippe dürften schon bald nach Reisingers Tod aufgegeben worden sein.
Die Krippeninitiativen verlagerten sich wohl außerdem mehr auf die Mesner und ihre Ehefrauen. Erst Präses Max Schneider 1924 bis 1934 konnte sich in bescheidenem Umfang wieder der Krippe widmen. …
Für Weihnachten 1946 besorgte Frau Klara Stummhofer (Mesnerfrau der Jesuitenkirche), deren Mann noch in Kriegsgefangenschaft (2. Weltkrieg 1939/45) weilte, von der Firma Josef Krönner ein neues Wachsjesulein (wohl Salzburg) für 12 Reichsmark und 10 Schäflein à 20 Reichsmark von Wilhelm Hallmayer.
Etwa ab 1963 (letzte Aufstellung?) und mit dem Ruhestand Stummhofers 1969 trat eine Pause ein, in der die Figuren erfolgreich gegen Mottenbefall in Zeitungspapier verpackt, im südlichen Requisitenraum der Kirche schlummerten“ (Franz Karl ebd., Seite 31).
Reisinger Krippe 2011 © F. Fischer
In der Tat war es dann so, dass die Menschen noch von der Krippe in der Jesuitenkirche sprachen, aber die Zeitumstände – kein Mesner mehr, nebenamtliche Präsides und solche als Ruhestandspriester, Renovierungen an der Jesuitenkirche, auch Verweltlichung auf allen Bereichen des Lebens, Wirtschaftswunderdenken und Vertrauen in Fortschritt und Wissenschaft usw. – ließen den Wert der Krippe als religiöses Veranschaulichungsmittel sinken, ja ihren Aufbewahrungsort und ihren wahren Zustand in Vergessenheit geraten. Hie und da schwärmten ältere Menschen, die die Krippe in der Jugend noch in einigermaßen „Glanz“ erlebten, von ihr. Und oft vermuteten einige, bei der Kongregationskrippe könnten Figuren verwendet worden oder enthalten sein aus der früheren Krippe der Stiftskirche St. Jakob. Studiendirektor Karl Tyroller, ein herausragender Kenner und Erforscher der Straubinger Kunstschätze, stellte etwa 1976 aus den alten Akten der Männerkongregation fest, dass zwischen 1848 und 1861 (Ära von Präses Reisinger) die Kongregation eine große Krippe angeschafft hatte. Außerdem fand er aus der Kirchenrechnung von St. Jakob aus dem Jahre 1780 heraus, dass „das Kripperl durch die am 13. Oktober dies Jahrs entstandene erschröckliche feuers Brunst verbrunnen ist“. Nun war es eindeutig, dass die Kongregationskrippe Eigentum der MMC war und ist.
„Und so wurde auch die Kongregation sich ihres kostbaren Besitzes wieder bewusst, verständigte den damaligen Leiter des Gäubodenmuseums A. Scherl, schickte die Herren E. Böhm und W. Schäfer auf die Suche und wurde schließlich fündig in der südlichen Nebenkammer der Jesuitenkirche. Die Krippe war notdürftig verpackt, fast alle Figuren beschädigt, zum Teil schwer; so manches war abhanden gekommen. (Über 200 Figuren, 90 davon aus dem 18. Jahrhundert, eine kleine Zahl von Tierfiguren, viele Kleingegenstände und einige schwer beschädigte Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, Sodalenblatt 1996 Seite 110)
Unterstützt durch eine bedeutende Spende des Rotary Clubs, die von Herrn Dr. Franz Gerhaher vermittelt wurde, entschloss sich die Leitung der Kongregation, die Figuren durch das Bayerische Nationalmuseum restaurieren zu lassen (Vertrag vom 21. September 1976).
Das erste Ergebnis der Münchner Bemühungen, 66 Figuren der Weihnachtszene, konnte man an Weihnachten 1977 im Gäubodenmuseum als Leihgabe (der Kongregation) bewundern.
Im Januar 1995 war dann klar geworden, dass die Tage der Kongregationskrippe als Leihgabe im Museum gezählt waren. Die Leitung der Marianischen Männerkongregation hatte sich entschlossen, zum 350jährigen Gründungsjubiläum 1996 nicht nur einen bedeutenden Beitrag zur Restaurierung der Jesuitenkirche zu leisten, sondern ihr Eigentum, die herrliche Krippe, an ihren ursprünglichen Ort, eben in der Kongregationskirche, in würdigem Rahmen, in allen wesentlichen Teilen gereinigt, restauriert und ergänzt, teils mit neuen Gebäuden und Hintergründen versehen, der Straubinger Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Da Krippenfiguren durch Auf- und Abbau, durch Bewegen der Köpfe, Arme und Beine, durch Transport und Verpackung leiden, sollte eine gesicherte, staubfreie, vor Vergilbung und Insektenbefall geschützte Aufstellung erarbeitet werden, die musealen und konservatorischen Ansprüchen genügt und trotzdem allen Straubingern Zugang zur Betrachtung gewährt. Es sollte eine Szenenfolge entstehen, die barocker Bewegtheit und biedermeierlicher Besinnlichkeit möglichst nahe kommt. Es sollte wenigstens teilweise etwas von Reisingers pastoraler Absicht aufscheinen, die Menschen durch die Krippen zu erfreuen und ihnen frohe Botschaft zu verkünden.
Durch die neue Konzeption der Gesamtdarstellung wird die alte Schönheit der einzelnen Krippenfiguren wieder sichtbar, und es wird sich herausstellen, dass die Gesamtkrippe mit ihren verschiedenen Provenienzen (ihrer herkunftsmäßigen Vorgeschichte), neben Rohr, Landshut, Michaelsbuch und der leider einst nach Aschaffenburg verkauften berühmten Oberalteicher Krippe, zu den bedeutendsten Niederbayerns gehört und dass die 35 älteren Barockfiguren in ihrer hohen Kunstfertigkeit zu den besten ganz Bayerns zu zählen sind.
Die Krippe gereicht aber nicht nur der Marianischen Männerkongregation zu höchstem Ruhm, sondern auch den Straubinger Künstlern, Handwerkern und Kaufleuten, die den biedermeierlichen Teil der Krippe gestaltet haben und deren Namen aus den vollständig erhaltenen Rechnungen zu entnehmen sind.